Fahrradhelm: Testbedingungen und Schutzwirkung

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich bereits einmal an einen großen Helmhersteller geschrieben und um Einzelheiten zur Helmherstellung, den durchgeführten Tests und Schutzwirkungen gebeten. Leider habe ich darauf keine Antwort bekommen. Nun habe ich also erneut nachgefragt, da Tim ja nun so langsam los legt.

Hallo,

ich fahre mit meinem Rad ca. 2.500 Km bis 3.000 Km im Jahr auf der Straße und auch auf leichten Schotterpisten. Zukünftig wird auch mein kleiner Sohn – derzeit noch im Anhänger – mit auf der Piste sein. Seit einer Woche kann er nun auch allein Fahrradfahren :-) Angeregt durch den Tod eines Schülers in unserer Stadt, der mit dem Rad unterwegs war, versuche ich mich nun über die Sicherheitsaspekte von Fahrradhelmen zu informieren.

Ich habe bis dato nie einen getragen. Ich kenne den Helm vom Motorrad und würde dort auch nicht auf den Gedanken kommen, ohne zu fahren.

Leider habe ich auch nach etwas intensiverem Stöbern im Netz und auf Ihrer Seite im speziellen keine Aussagen zur Schutzwirkung von Fahrradhelmen gefunden. Tests gibt es zu Hauf, aber dort werden nur die “schicke Optik”, der “angenehm luftige Tragekomfort” und die “tolle Passform” angepriesen. Mich interessiert, bis zu welcher Aufprallgeschwindigkeit der Helm tatsächlich Schutzwirkung bietet und in welche Richtung der Aufprall auf den Helm einwirken muß, damit er schützt.

Gibt es Untersuchungen zu Nackentraumata, die hervorgerufen werden durch den erhöhten Kopfumfang durch den Helm in Verbindung mit der zerklüfteten Oberfläche des Helms, welche sich im Falle eines Sturzes an Unebenheiten verhaken kann?

Breche ich mir nicht mein Genick, wenn ich mit einem Helm mit “Bürzel” auf den Hinterkopf falle? Motorradhelme haben diesen Bürzel nicht.

Gibt es Geschwindigkeitsempfehlungen, die ich mit einem Helm einhalten soll, damit eine Schutzwirkung gegeben ist? Ich fahre durchaus auch Geschwindigkeiten oberhalb von 40 Km/h … bergab auch schon mal über 60 Km/h.

Ich mache mir auch Gedanken um meinen Sohn. Ist die noch nicht fertig entwickelte Nackenmuskulatur des Kindes überhaupt in der Lage, die doch bemerkbar größere Masse am höchsten Punkt des Körpers im Falle eines Aufpralls zu stützen?

Warum haben Fahrradhelme scharfkantige “Schirme” vorne, die teilweise mit Klettband oder Druckknöpfen befestigt werden? Werden diese nicht als erstes in die Augenregion des Gesichtes gedrückt, falls ich frontal mit dem Kopf auf ein Hindernis pralle?

Wo finde ich die Ergebnisse und Beschreibungen der der von Ihnen sicherlich durchgeführten Crash- und Belastungstests der Helme?

Wie gesagt, ich bin mir sehr unsicher, ob ein Helm für mich und meinen Sohn sinnvoll ist, oder ob die negativen Auswirkungen nicht den möglichen Vorteil mehr als wett machen. Tatsächlich bin ich schon desöfteren gestürzt, aber bisher lediglich einmal auf den Kopf und da möchte ich nicht wissen, was mit meinem Hals passiert wäre, wenn der Kopf einen noch größeren Umfang gehabt hätte. So war es nur eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung.

Viele Grüße und vielen Dank für die Test, Auswertungen, Statistiken und Antworten im voraus!

Ich weise vorsorglich darauf hin, dass ich die Antworten auf meine Fragen den Lesern meiner Homepage zugänglich mache, da dies doch ein Thema von allgemeinem Interesse ist und ich durchaus desöfteren schon Diskussionen zum Thema Pro & Contra Helm führe.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Edler

Gestern bekam ich dann einen netten Anruf auf dem Handy aus dem Vertrieb des Helmherstellers. Leider konnte der Herr meine Fragen nicht beantworten. Nackentraumata werden durch Helme nicht begünstigt, ansonsten schützen sie ausschließlich. Punkt. Als Beispiel wurde sein 2 1/2jähriger Sohn angeführt, der sogar beim Bobby-Car fahren einen Helm trägt. Allerdings hat der Helm erst dann geschützt, als der Junge im Sitzen von einer Bank gefallen ist.

Bereits vorher hatte ich den Herrn gefragt, warum er nicht beim Zufußgehen oder beim Autofahren einen Helm trägt, da alle diese Tätigkeiten ein weitaus größeres Risiko beinhalten sich schwere Kopfverletzungen zuzuziehen. Eine richtige Antwort habe ich m.E. nicht bekommen. Die Zahlen der Grafik finden sich übrigens im Geschäftsbericht der Hannelore-Kohl-Stiftung von 2004. Er wies auf die besonderen Gefahren beim Radfahren hin, die ich angesichts der Statistik jedoch nicht nachvollziehen kann. Nichts ist sicherer als Fahrradfahren und ausgerechnet dort wird eine riesiges Rad gedreht, die Leute zum Helm tragen zu überzeugen. Im Auto macht es Sinn!

Auch auf meine mehrfach wiederholte Bitte, doch einmal auf die Fragen einzugehen, wurde meines Erachtens nur Werbesprech widergegeben. Dass das Makrolon der Helmhaut aus Europa kommt usw. Dass das kein Sicherheitsfeature sei, interessierte nicht weiter. Nach einigem Drängeln fiel dann – wohl versehentlich – die Angabe, dass ab 17 Km/h das Genick bei einem Aufprall sowieso nicht mehr gehalten werden könne. Was immer das für mein Genick heißen mag … und warum ich dann die Masse meines Kopfes durch einen Helm unnötig vergrößern soll, wenn ich den Kopf bei so niedrigen Geschwindigkeiten sowieso nicht mehr halten kann, verstehe ich auch nicht.

Die Gefährlichkeit eines Helms bezüglich “aufhängen” wurde mir ungefragt bestätigt. Er würde auf einem Spielplatz Kinder sofort von Klettergerüsten holen, wenn diese dort mit dem Radhelm auf dem Kopf klettern würden. Ich hoffe ich habe mich verhört, als er von einigen Todesfällen im Jahr auf diese Art sprach. Warum kann man nur auf einem Klettergerüst mit so einem zerklüfteten Radhelm hängen bleiben, nicht aber wenn man mit dem Kopf in Gebüsche, Bäume oder Rabatten fällt – die auf vielen, vielen Kilometern unsere Straßen säumen?

Interessant übrigens, dass die Helm- und Radhersteller laut dem Herrn auf gar keinen Fall Interesse an einer allgemeinen Helmpflicht haben! Sollte diese nämlich eingeführt werden, geht die Radindustrie von einer spürbaren Verschlechterung der Radfahrquote mit einhergehenden Minderverkäufen aus. Keine verkauften Räder – keine verkauften Helme. So einfach ist das. Und diese Vermutungen decken sich mit den Erfahrungen der Länder, die eine Helmpflicht eingeführt haben.

Mir wurde auch noch ein Flyer mit Testverfahren versprochen, der dann auch heute eintrudelte. Leider ist dies auch nur ein Sonderdruck einer “aktiv Radfahren” mit Helmtests. Diese Tests simulieren übrigens auch “nur” das Einwirken eines senkrechten Ereignisses und danach auf einen gekeilten Amboss (Bordsteinkante). Wie oft wohl ein Fahrradfahrer senkrecht mit dem Kopf nach unten irgendwo aufschlägt?

Naja, nun bin ich was die Schutzwirkung angeht genauso klug wie vorher. Weiß aber aus dem Gespräch, dass die Helmhersteller selbst wohl auch nicht so genau sagen wollen, wann und wie der Helm schützt. Denn das hatte ich gefragt und mit keinem Wort beantwortet bekommen. Wenn die Antworten doch kamen, dann entschuldige ich mich hier für meine mangelnde Fähigeit, sie zu erkennen.

Über

Ich schreibe hier über Fahrrad(politik), Politik an sich, Technik, unsere Familie und alles was mich sonst so bewegt.

2 Kommentare zu „Fahrradhelm: Testbedingungen und Schutzwirkung

  1. Hallo Andreas,

    Dein Eintrag ist schon ziemlich alt aber vielleicht interessiert es Dich ja trotzdem noch. Ich schreibe gerade meine Diplomarbeit über das Schutzpotential von Radhelmen. Das Netz ist randvoll mit Infos dazu! Du solltes aber mit englischen Begriffen suchen. Probier mal Google scholar. Oder schau mal hier: http://www.bhsi.org/index.htm Zu den Helmen: Die Helme schützen hauptsächlich vor oberflächlichen Verletzungen. Hirnverletzungen können bei geringen Anprallgeschwindigkeiten teilweise verhindert werden. Bei höheren Anprallgeschwindigkeiten wird die Anprallenergie gemindert. Bei linearen Aufprallsituationen (ohne Verdrehung des Kopfes, selten im echten Leben) entspricht die Energie absorbtion eines Helmes ca 15-20 km/h, je nach Helm. Schwierig wird es bei Anprallsituationen, bei denen der Kopf Rotationsbeschleunigungen ausgesetzt wird. Darauf reagiert das Gehirn sehr empfindlich und Helme können da kaum etwas ausrichten. Die Mechanismen die zu Hirnverletzungen führen, sind aber noch nicht abschliessend gekärt. Genickverletzungen sind bei Radfahrern übrigens selten und werden nach meinen Erkenntnissen nicht durch Radhelme beeinflusst. Der Schutz den Radhelme bieten, mag begrentzt sein und ist eher auf Geschwindigkeiten unterhalb von 30 km/h ausgelegt. Negative Wirkungen sind jedoch mit guten Helmen nicht zu erwarten. Vorraussetzung ist jedoch, dass der Helm passt, fest sitzt und eine möglichst reibungsarme Oberfläche hat. Ein Schläfenschutz (primäre Anprallstelle!) ist ebenso wichtig wie eine gleichmassig runde Form (keine Aero-Verlängerungen nach Hinten). Die sogenannten playground hangings sind in der Tat ein Problem. Man muss den Blagen eben eintrichtern, dass sie den Helm nur auf dem Rad tragen sollen. Also: Helm tragen? Ja! Primäres Sicherheitsmodul ist aber nach wie vor der Fahrer selbst ;o)

    • Hallo

      Ich mache gerade mein Diplom:
      Mein Thema ist Entwicklung eines Fahrradhelms mit verschieden ergänzenden Funktionen in Bereichen Orientierung, Medien, Sicherheit.
      Es wäre super wenn du mir ein paar Infos über Sicherheit mir schicken könntest.
      Ist dein Diplom öffentlich?
      Ich wäre über deiner Antwort super freuen.
      lg

      Dorra OueslTI

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