Tatort Internet

Ich habe mir dann diese vermeintlich aufklärende und seriöse Sendung ohne Effekthascherei auf RTL II angesehen. Nicht ganz muss ich gestehen, ich habe die ersten 5 Minuten verpasst und nach 50 Minuten konnte ich es nicht mehr ertragen.

Es sollte das Thema Kindesmissbrauch und hier im speziellen die Anbahnung solcher Straftaten über das Internet dem geneigten Zuschauer nahe gebracht werden. Ob dabei wirklich – abseits von Effekthascherei – an dem Thema interessierte Menschen ausgerechnet bei RTL II vor dem Bildschirm zu finden sind, wage ich zu bezweifeln. Deren Sinn steht doch eher nach Titeln wie “Grenzenlos geil! – Die Sexsüchtigen …” welcher allerdings zum vorgezogenen Start von “Tatort Internet” aus dem Programm genommen wurde.

Wie dem auch sei, RTL II versuchte es mit dem ernsten und sicher nicht für Späße und Klamauk geeignetem Reizthema und holte sich Stephanie zu Guttenberg ins Boot. Die Frau des Bundesverteidigungsministers, der sich für stärkere Überwachung im Internet, die Einführung von Sperrlisten stark macht und dabei völliges Unverständnis für diejenigen bekundet, die solche Sperren argumentativ verhindern möchten. Auch Frau zu Guttenberg ist in der Vergangenheit bei der Sperrdebatte durch Lücken im Wissen um das Internet aufgefallen und hat zuletzt durch die “Pornoisierung von Jugendidolen” auf sich aufmerksam gemacht. Hier kommt zusammen, was zusammen gehört.

Ich hab’s also wider besseren Wissens eingeschaltet und wurde nicht enttäuscht. Gleich dem US-amerikanischen Vorbild “To catch a predator” werden mit fingierten Chats, die von der investigativen Journalistin Krafft-Schöning mit potentiellen Tätern geführt werden, Männer zu Treffen gelockt, um sie danach öffentlich vorzuführen. Krafft-Schöning gibt sich dabei als minderjähriger Teenager aus und mimt virtuell den Lockvogel, während dann vor Ort eine Schauspielerin diesen Part übernimmt. Zumindest so lange, bis das Kamerateam über den vermeintlichen Täter herfällt und dieser dann von Krafft-Schöning mit Fragen bombardiert wird. Die Fragen sind allesamt durchaus berechtigt und ich habe auch kein Verständnis oder Mitleid mit solchen Menschen, aber die Art und Weise, wie diese Hetzjagd inszeniert ist, trägt überhaupt nichts zur Sache bei, sondern ist einzig und allein das, was von vornherein lauthals ausgeschlossen wurde: Effekthascherei!

Schnelle Schnitte, wackelige Handkamera, dramatische Musik, hektisch nachgesprochene Chatprotokolle und dazu die stakkatoartig vorgebrachten Fragen, lassen die Männer schon nach wenigen Sekunden wie arme Würstchen aussehen. Dazu wird in Einspielern ein ehemaliger Hamburger Polizeipräsident und Innensenator gezeigt, der mit seinem Schnurbart und der Pfeife im Mund aussieht wie Sherlock Holmes – leider aber deutlich weniger eloquent und gehaltvoll redet. Das ist Comedy pur! Daneben steht die blonde, adrett gestylte zu Guttenberg und schwadroniert darüber, dass sie traurig ist, die vorgeführten Männer nicht verurteilen zu können. Womöglich gar gleich auf den Scheiterhaufen zu stellen.

Während der Sendung kommt der an Aufklärung interessierte Zuschauer nicht ein einziges Mal damit in Berührung, wie und wo sich solche Chats ergeben. Es wird den – hoffentlich gucken diese überhaupt zu – Eltern potentieller Opfer nicht nahe gebracht, welche Plattformen es gibt, wie ihr Kind sensibilisiert wird, wie die Eltern selbst Kontrolle bzw. Lenkung ausüben können. Es passiert gar nichts, was helfen könnte, diesen Missbrauch einzudämmen. Mit keinem Wort gehen Herr Nagel, Frau zu Guttenberg oder Frau Krafft-Schöning darauf ein, was man tun kann, um vorzubeugen. Alles was das Thema abseits von Effekthascherei und tumber Sensationslust bietet wird ausgeklammert. Und so sehr man darüber streiten kann, ob es krankhaft ist oder nicht: auch den potentiellen Tätern, die sich womöglich in ihrer Haut selbst nich wohl fühlen und aus diesem Schema ausbrechen möchten, wird keine Hilfestellung gegeben. Vielleicht ist das sogar noch das Erbärmlichste an “Tatort Internet”.

Ich habe hier eine Sendung gesehen, die sich nicht an Menschen richtet, die sich um ihre Kinder sorgen, sondern an die Leute, die auf Autobahnbrücken stehen, wenn darunter ein Unfall passiert ist. Das ist widerlich.

Über

Ich schreibe hier über Fahrrad(politik), Politik an sich, Technik, unsere Familie und alles was mich sonst so bewegt.

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