Helle Kleidung reicht nicht mehr
Nachdem heute erneut in einem Presseartikel ĂŒber einen angefahrenen FuĂgĂ€nger auf die Kleidung hingewiesen wurde, habe ich einen Leserbrief verfasst. Westfalen-Blatt: 73-jĂ€hriger FuĂgĂ€nger bei Kollision mit Pkw schwer verletzt
… ĂŒberquerte ein dunkel gekleideter 73-jĂ€hriger Mann die StraĂe. Er wurde dabei vom linken KotflĂŒgel des Pkw erfasst, gegen die Windschutzscheibe und anschlieĂend zu Boden geschleudert … weist die Polizei darauf hin, wie wichtig es ist, in der Dunkelheit reflektierende Kleidung zu tragen. Lediglich helle KleidungsstĂŒcke seien nicht ausreichend, um rechtzeitig gesehen zu werden. Wie konnten wir bisher ĂŒberleben? Ohne Lametta an unserer Kleidung? Schrecklich. Ich finde die Berichterstattung schlicht widerlich. Da kriege ich echt Herzklopfen. Kein Wort dazu, dass man in einer 30-Zone vielleicht mal besonders vorsichtig fĂ€hrt. Nein, zu allem Ăberfluss “kollidierte der FuĂgĂ€nger” in der Ăberschrift auch noch mit dem Auto. Auch im Artikel selbst kein Wort darĂŒber, dass er angefahren wurde … vom Fahrer. Nein, er wurde vom linken KotflĂŒgel “erfasst”. Als ob der KotflĂŒgel das in Eigenregie gemacht hĂ€tte!
Ich kann nicht verstehen, dass diese Berichterstattung von der Lokalpresse so völlig unreflektiert ĂŒbernommen wird. Und ich kann die Polizei schon lange nicht verstehen! Daher ging eben folgender Text an die beiden lokalen BlĂ€tter. Die Polizei macht es sich sehr einfach mit ihrer Lametta-Kampagne. Die schwĂ€chsten Verkehrsteilnehmer – FuĂgĂ€nger und Radfahrer – werden angesprochen, um aufzurĂŒsten. Helle Kleidung reicht schon nicht mehr, jetzt muss es bereits reflektierend sein und Taschenlampen wurden ebenfalls empfohlen. Als nĂ€chstes noch ein Rundumlicht auf dem obligatorischen Helm, ohne den kann man – glaubt man der Polizei – als Radfahrer praktisch gar nicht mehr ĂŒberleben.
Der Autofahrer hingegen, der Verkehrsteilnehmer mit dem gröĂten GefĂ€hrdungspotential, der Verkehrsteilnehmer welcher bei einem ZusammenstoĂ mit den SchwĂ€cheren am wenigsten zu befĂŒrchten hat, der Verkehrsteilnehmer, dem Xenon-Licht, Assistenzsysteme, Head-Up-Displays und intelligente Navigationssysteme das Fahren einfacher machen sollen, der wird nicht angesprochen. Kann es sein, dass die Polizei hier ein massives Ungleichgewicht schlicht ignoriert und da ansetzt, wo man mit dem wenigsten Gegenwind Aktionismus prĂ€sentieren kann?
Im Auto bekommt man dank immer hochwertigerer DÀmmung der Karosserie, immer ausgefeilterer Musikanlagen und Unmengen an per Breitbilddisplay prÀsentierter Informationen offensichtlich gar nicht mehr mit, was rundherum passiert.
Bei Petershagen nimmt ein Autofahrer beim Abbiegen einem Radfahrer die Vorfahrt und fĂ€hrt ihn um. Der Polizei fĂ€llt dazu ein: der Radfahrer trug Kopfhörer und der Autofahrer wurde durch die tiefstehende Sonne geblendet. Auf der Lohe wird ein Senior in einer Tempo-30-Zone derart von einem Auto angefahren, dass hoher vierstelliger Schaden am Fahrzeug entsteht und die Windschutzscheibe komplett eingedrĂŒckt wird. In einer 30-Zone! Der Polizei merkt dazu lediglich an, dass der Mann dunkel gekleidet war.
Herrje, ich habe damals in der Fahrschule etwas vom Sichtfahrgebot gelernt. Wenn die Sonne mich blendet, darf ich nicht einfach drauf los brettern, dann muss ich ganz besonders vorsichtig sein und langsam fahren. Es ist auch völlig unerheblich, ob der Radfahrer Kopfhörer trug – das darf er und sogar wĂ€hrend dem Radfahren Musik damit hören. Er bekommt dann immer noch mehr VerkehrsgerĂ€usche mit, als der in seiner schallisolierten Kabine sitzende Autofahrer.
Ich kann mit meinem Fahrradlicht komplett unbeleuchtete FuĂgĂ€nger erkennen, wenn sie vor mir auf dem Radweg laufen und ihnen ausweichen. Einem Autofahrer gelingt dies mit ungleich besserem Licht und einem Tempo von unter 30 Km/h nicht? Mit Verlaub, der hat dann nichts im StraĂenverkehr zu suchen!
Wann weist die Polizei endlich mal den motorisierten Verkehr auf dessen Pflichten hin? Wann wird zur besonderen Vorsicht gemahnt? Wann wird erwĂ€hnt, dass in Tempo-30-Zonen “30” das erlaubte Maximum(!) ist. Nein, 40 ist dann nicht OK, das ist 33% zu schnell! Schulterblick, in Kreuzungen hinein schauen, Gegenverkehr beobachten, alles Dinge die in einem Auto scheinbar nicht mehr nötig sind. Hauptsache alle andere blinken, leuchten und winken, damit sie noch halbwegs wahrgenommen werden.
Zudem ist es eine Frage der Zeit, bis Versicherungen auf den Zug aufspringen und nur noch dann zahlen, wenn der FuĂgĂ€nger auch wirklich reflektierend gekleidet war. Ist das gewollt? Bei fehlenden Radhelmen gibt es entsprechende Urteile bereits. Das AbwĂ€lzen der Verantwortung auf die schwĂ€chsten Verkehrsteilnehmer zeigt lediglich das Unvermögen oder den Unwillen, an den eigentlichen Problemen etwas zu Ă€ndern.
Stimmt! Es geht wieder los, aufrĂŒsten. Warte ja schon drauf, dass Leucht-kleidung per Gesetz vorgeschrieben und strafbewehrt ist. *facepalm* Trotzdem finde ich es vernĂŒnftig, zumindest wenn man zu fuĂ unterwegs ist, als “schwarztrĂ€ger” wie ich einer bin eine von diesen peinlichen Westen mitzunehmen. Im Auto sieht man auch trotz Licht FuĂgĂ€nger erst spĂ€t. #Erfahrungswert. (Vor allem hier aufm land wo viele SchnellstraĂen und StraĂen ohne Seitenweg sind und die Leute fahren wie die Berserker.)
Im Auto sieht man mit Licht und angepasster Fahrweise FuĂgĂ€nger ausreichend frĂŒh #Erfahrungswert
Dann muss man was gegen das Rasen und die Berserker tun, aber nicht mit dem Finger auf die Radfahrer und FuĂgĂ€nger zeigen. Victim-Blaming …
Du hast recht ! DAS ist keine objektive Berichterstattung.
Ohne jetzt irgendwelche Schuldzuweisungen machen zu wollen – das ist ja immer eine Sache der jeweiligen Situation – bin ich auch deiner Meinung, dass Radfahrer und auch FuĂgĂ€nger als schwĂ€chste Verkehrteilnehmer besondere Aufmerksmkeit und RĂŒcksicht verdienen.
Allerdings muĂ ich aus meiner Fahrpraxis sagen, dass Radfahrer und FuĂgĂ€nger gerade auf dunklen LandstraĂen und dann möglicherweise noch bei Regen,schlecht zu sehen sind. Zumal wenn sie dann noch dunkel gekleidet sind.
Deswegen fahre ich auf dem Quad nur noch mit “Biene Maja”-Outfit. Mit Reflektorstreifen.
Einerseits ist das sicherer und andererseits ist das auch eine windabweisende Regenjacke. FĂŒr den Sommer habe ich das in entsprechender leichter Bekleidungsweise.
Du siehst FuĂgĂ€nger schlecht und ziehst deshalb selbst auf dem Quad eine Warnweste an? Welchen Sinn macht das denn?
Das ich FuĂgĂ€nger z. B. auf dunkler LandstraĂe die zudem noch dunkel gekleidet sind schlecht sehe, hat nichts mit dem Quadfahren zu tun.
Weil ich eben weiĂ, dass ich – obwohl eigentlich ein ziemlich auffĂ€llige GefĂ€hrt – bei Dunkelheit oder schlechter Sicht vielleicht nicht wahrgenommen werde, trage ich meine Warnkleidung !
Dass helle, reflektierende Kleidung ganz offensichtlich nicht davor schĂŒtzt, umgefahren zu werden, hat die Polizei schon vor Jahren selbst veröffentlicht!
Sehr guter Kommentar!
Danke dafĂŒr!
Schöner Artikel, hoffentlich drucken die LokalblÀtter das auch ab.
WĂ€re ja ggf. auch als offener Brief an die Polizei sinnvoll, incl. Abdruck des Antwortschreibens.
In Luxemburg gibt es ĂŒbrigens schon die Warnwestenpflicht fĂŒr FussgĂ€nger an Landstrassen.
Was kommt dann als nÀchstes?
Protektorenpflicht, Helmpflicht, Vorderlicht- und RĂŒcklichtpflicht wie beim Fahrrad?
Kriegen wir bald die ersten KleidungsstĂŒcke mit aufgedrucktem Warnhinweis ‘Vorsicht FussgĂ€nger’?
Ich persönlich hatte eigentlich noch NIE Probleme mit gefÀhrlichen FussgÀngern.
Aber vermutlich stehen die Autoversicherer tatsĂ€chlich bereits in den Startlöchern und arbeiten daran, dass normal gekleidete FussgĂ€nger eine Mitschuld kriegen; so Ă€hnlich wie beim vieldiskutierten ‘Helmurteil’ vom letzten Sommer, wo eine Radfahrerin trotz 0% Schuld auf einem Teil des Schadens sitzen bleiben sollte weil sie zur Minderheit der 90% gehörte, die ‘unverantwortlicherweise’ keinen Helm tragen.
Im MĂŒnster wurden schon 1000-de Warnwesten kostenlos an Radfahrer verteilt.
Zum GlĂŒck landen die Dinger (noch?) hauptsĂ€chlich in Schubladen und KofferrĂ€umen, sowie ĂŒber den LodenmĂ€nteln von ĂŒbervorsichtigen alten MĂ€nnern, die ihr Rad nicht im Griff haben und die insofern vielleicht zu Recht vor sich warnen wollen. Da gilt es dann als sicherheitsbewusster FussgĂ€nger und Radfahrer nicht nur Ă€sthetisch, sondern auch rĂ€umlich auf Distanz zu gehen.
Ein Problem dabei ist auch, dass – wenn das so weitergeht – eine Eigendynamik im Sinne des ‘TribĂŒneneffekts’ in Gang kommt:
die Ersten fangen an sich in Lichterskulpturen zu verwandeln, das Ganze verunsichert die Andern, ob sie neben den ‘Blendern’ noch wahrgenommen werden. Irgendwann illuminieren sich nach der 10ten Kampagne immer mehr, und es fallen dann diejenigen, die noch ohne Lichter und Lametta unterwegs sind tatsĂ€chlich aus der Aufmerksamkeit heraus, so dass das Ganze ohne Lametta dann langsam wirklich gefĂ€hrlich gemacht wurde.
Am Ende leuchten Alle und der vorgebliche Sicherheitsgewinn wird ĂŒberkompensiert durch die dann höheren gefahrenen Geschwindigkeiten.
Das Risiko ist schlussendlich auf dem gleichen Level, aber zumindest kann guten Gewissens weiter mit noch hÀherer Geschwindigkeit gerast werden und es ist leichter die dann leuchtenden Opfer zu finden.
Die Pressemitteilungen bleiben natĂŒrlich gleich, schliesslich hatte der korrekt erleuchtete FussgĂ€nger keinen Transponder dabei, der ihn nebst ID ins globale Verkehrssicherheitssystem eingeloggt hĂ€tte. … …
@gucky:
Ich finde das ja im Prinzip gut, dass Quad-fahrer genĂŒgend selbstkritisch sind, dass sie per Warnweste vor sich warnen, aber das nutzt mir als FussgĂ€nger oder Radfahrer denn doch ziemlich wenig.
Ich wĂ€re besser geschĂŒtzt, wenn ich die Abgase des Quads gar nicht einatmen mĂŒsste und dem extrem nervigen LĂ€rm nicht ausgesetzt wĂŒrde. Das mit der Warnung vor sowas geht also O.K. aber es bringt einfach wenig, wenn trotzdem mit diesen Dingern gefahren wird ;-)
Da möchte ich den @Gucky an dieser Stelle ein bisschen in Schutz nehmen. Der ist auf sein Quad angewiesen … da geht’s nicht so sehr um Sightseeing und Luft verpesten aus Lust an der Freude. Fahrrad ist sicher nicht so angeraten fĂŒr ihn.
In der Schweiz mĂŒssen Motorfahrzeuge ab diesem Jahr auch tagsĂŒber mit Licht fahren (1). Laut bfu (2) werden sie so von Fahrradfahrern und FuĂgĂ€ngern frĂŒher gesehen. Diese können so Gefahren (Autofahrer?!) frĂŒher erkennen und entsprechend reagieren. Am besten mit einem beherzten Sprung ĂŒber die Leitplanke oder in den StraĂengraben ;-)
Auch hier lautet die Devise leider nicht angepasste Fahrweise, sondern Erhöhung der Sichtbarkeit. Und handeln sollen auch hier nicht die Kraftfahrer, sondern das “Hindernis”, indem es ausweicht.
(1) http://www.tractionavant.ch/Gesetze/Tagfahrlicht/20131127_ViasicuraFaktenblatt.pdf
(2) http://www.bfu.ch/de/die-bfu/kommunikation/medien/strassenverkehr/autofahrer/mehr-sicherheit-im-strassenverkehr-via-sicura
Kurze Korrektur: Es gibt nur ein Urteil, was die BĂŒchse der Pandorra geöffnet hat und von einer Mithaftung durch den fehlenden Helm ausgeht. Hinzu kommt, daĂ die Argumentation in dem Urteil auch etwas dĂŒrftig ist. Man darf gespannt sein, ob der BGH den Wechsel in der stĂ€ndigen Rechtsprechung mittrĂ€gt. Der Boomerang könnte dann zurĂŒck kommen, wenn sich die erste Versicherung weigert eine teure lackierte StoĂstange zu bezahlen. Eine einfache hĂ€tte es im Sinne der Schadensminderungspflich schlieĂlich auch getan.
Im Ăbrigen hĂ€tte ich als Richter der Radfahrerin auch u.U. dennoch eine Mithaftung verplĂ€ttet. Wegen des zu geringen Sicherheitsabstandes zur FahrertĂŒr. Aber das ist ein anderes Blatt und vor allem auch aktives Zutun.
Leider kann man vielfach keine objektive Berichterstattung mehr erwarten. Autofahren ist fĂŒr viele mittlerweile natĂŒrlicher als jedes andere Verkehrsmittel. Man braucht sich in Deutschland doch nur an eine beliebige StraĂe stellen. Kaum Radler, kaum FuĂgĂ€nger. Alles und jeder ist mit dem Kraftfahrzeug unterwegs und solidarisiert sich entsprechend. Prominentestes Beispiel ist da unser ehmaliger Verkehrsminister dessen populistische Aussagen nicht unerheblich an eine Volksverhetzung erinnern. Was will man also erwarten? Der verbleibende nicht Motorisierte Rest wird dann durch die schlechte Position auch mehr oder minder ins Auto gedrĂ€ngt. “Dann wird man immerhin nicht mehr verarscht.”
Eben dieses eine Urteil meinte ich.
Nicht eingeklappte, einklappbare Spiegel werden der Logik entsprechend auch nicht mehr von Versicherungen ersetzt, sollten sie abgefahren werden.
Die Polizei möchte also das FuĂgĂ€nger Taschenlampen mit nehmen? Ist eine gute Idee, meine hat knapp ĂŒber 2000 Lumen. Sehr nĂŒtzlich wenn mal wieder jemand meint fĂŒr einen FuĂgĂ€nger nicht abblenden zu mĂŒssen.
Danke, Andreas.
Wir sehen diese AuswĂŒchse ĂŒberall in Europa. Aber die Petition fĂŒr Tempo 30 in InnenstĂ€dten (was wirklich Unfallzahlen senken könnte) bekommt in Europa nicht genug UnterstĂŒtzer.
Es nĂŒtzt vielleicht auch etwas, die Pressestelle der Polizei – am Besten mit Hinweis auf die Veröffentlichung im Blog – anzuschreiben.
Ich habe bei einem der Kölner Fahrradblogger schon gelesen, dass das dazu gefĂŒhrt hat, dass Pressemitteilungen geĂ€ndert worden sind. Ob das natĂŒrlich dann Auswirkungen auf die Zeitungen hat, ist schwer zu sagen.
In deren Unfallberichten kommen immer nur Autos vor, deren Fahrer offensichtlich nur passiv am Geschehen beteiligt waren.
Ich bin fĂŒr eine strafrechtliche Verfolgung _jedes_ Unfalls mit Personenschaden.
Ich habe im letzten Jahr Kontakt mit der entsprechenden Stelle aufgenommen, als es um Geisterradler ging. Die Antwort hat mich sehr ernĂŒchtert …
Der gröĂte Witz an der Sache ist doch, dass eine anstĂ€ndige Beleuchtung am Fahrrad per Gesetz (StVZO und die ergĂ€nzenden TA) _verboten_ ist, aber dann erwartet wird, dass die solcherart schlecht sichtbaren Radfahrer eine Warnweste tragen!
Ansonsten erhöhen Warnwesten etc. _nachgewisenermaĂen_ nicht die Sicherheit der Radfahrer, siehe hier (auch meinen dortigen Kommentar):
http://www.rad-spannerei.de/blog/2013/09/05/erhoeht-reflektierende-kleidung-die-sicherheit-von-radfahrern/